Realfakes – Online verliebt und abserviert 

Brigitte ist gerade 42 geworden, als sie Holger im Internet zum ersten Mal trifft. Später würde sie jenen Tag als einen der bedeutsamsten Tage ihres Lebens bezeichnen. „Gerade erst hatte ich beschlossen, dass mein Geburtstag zum ersten Tag eines ganz neuen, besseren Lebens werden sollte. Die Scheidung von Rolf hatte mich ausgebrannt, aber ich war doch noch so jung. Nach einem knappen Jahr des Single-Daseins wollte ich endlich wieder nach vorne blicken und der Liebe wieder eine Chance geben. Einen Mann in mein Leben lassen, der mir das geben würde, was mir Rolf nicht geben wollte oder konnte. Einfach die Vergangenheit ruhen lassen und mit Riesenschritten und etwas mehr Glück im Gepäck durchstarten. Ich startete meinen PC und erstellte ein Profil in einer Online-Singlebörse. Schnell ein paar Profilbilder hochladen, nicht zu aufgetakelt, eher ganz natürliche Schnappschüsse. Ein bisschen zögerte ich noch, hatte einen anderen Tab offen. Nervosität? Ja, das auch. Dann kam er, dieser unvergessliche Moment, gefolgt von einem Lachanfall. Hol60 schrieb mich im Chat an: Schöne Dame, was machen Sie zu so später Stunde hier so ganz allein? Und mir, in meiner Online-Dating-Unbeholfenheit, fiel nichts Besseres ein, als wahrheitsgemäß und sehr plump zu antworten: Slot Machine kostenlos spielen Merkur. Noch während ich fast schon panisch den Löschen-Button suchte, antwortete Hol60: Nanu, ich glaube, ich habe mich gerade verliebt. Wenn Sie jetzt noch Fußball mögen, gehe ich auf die Knie und mache Ihnen einen Antrag.“ 

Wir chatteten die ganze Nacht 

Brigitte und Holger chatten und chatten und chatten. Brigitte erinnert sich und wird nachdenklich: „Sich online verlieben, um ehrlich zu sein, hatte ich nie zuvor wirklich daran geglaubt, dass das klappen könnte. Kurz online Kontakt aufnehmen, grob die Eckdaten checken und dann schleunigst zum Kontakt im wahren Leben übergehen, so hatte ich mir das Ganze schon viel eher vorgestellt. Aber es kam ganz anders und ich wurde von der verkopften Frau zu…naja, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. So viele Gefühle, es war überwältigend! In der ersten Nacht mit Holger lag ich mehrfach beinahe lachend unter dem Tisch. Dann wieder rührte er mich fast zu Tränen. Er brachte mich mit seiner Empathie und seinen Fragen dazu, mein halbes Leben preiszugeben. Er zeigte wahres Interesse und gab auch vieles von sich preis. Auch er hatte eine schmutzige Scheidung hinter sich und stand schon mit einem Bein am Abgrund. Er war ein starker Mensch, er zog sich am eigenen Schopf wieder aus dem Loch, in das er gefallen war. Er gab mir das Gefühl, dass er mich verstand wie kein Mensch vor ihm. Die Sonne ging auf und mit ihr die ersten Schmetterlinge in meinem Bauch. Einfach nur Müdigkeit? Ich bin normalerweise eine Pragmatikerin und konnte es kaum glauben. Ich quälte mich durch meinen Arbeitstag, fühlte mich seltsam wattig im Kopf. Trotzdem führte mein erster Weg nach Feierabend wieder an den PC. Und dort wartete er, Hol60. Die Müdigkeit wurde schwächer, die Schmetterlinge im Bauch stärker. Also doch keine Einbildung. Brigitte, du bist total verschossen.“ 

Jeden Tag im Kontakt, aber nur virtuell

„So ging es immer weiter und weiter. Endlose Nächte im Chat, den PC ließ ich nur noch im Standby-Modus, um mir mein virtuelles Guten-Morgen-Küsschen abzuholen. Holger wurde zum Teil meines Lebens. Wir chatteten nun auch per Messenger auf dem Smartphone. Er wusste alles über mich, ich alles über ihn. Wir führten eine Beziehung, die meine damalige Ehe in den Schatten stellte. Zu einem echten Treffen kam es nicht. Das war zwar anfangs ein wenig schade, aber Holger war einfach ein vielbeschäftigter Mann. Er hatte eine Privatinsolvenz hinter sich gebracht und hinterher ein Unternehmen aufgebaut. Mit kaum Eigenkapital, aber mit all seinem Engagement. Holger hatte Power, er war ein Mann der Tat. Ich liebte ihn – ich liebte das Bild, das ich von ihm hatte. Er war mein absoluter Deckel, mein Traummann. Und hätte er mich gefragt, ich hätte ihn sofort geheiratet. Diese wunderschönen, dunkelbraunen Löckchen, die fast schwarzen Augen, das schelmische Grinsen auf seinen Fotos! Ich hätte ihm alles verziehen, ich wollte sein Fels in der Brandung sein, so wie er es für mich war. Wir trafen uns nur virtuell und die Entfernung zwischen uns war in Kilometern gemessen oft riesig, weil er viel im Ausland unterwegs war. Die emotionale Nähe hingegen war so groß, dass nach meinem Empfinden kein Blatt Papier zwischen uns gepasst hätte. Es war eindeutig Seelenverwandtschaft.“ 

Zwei Jahre und die bittere Erkenntnis 

Brigittes Augen werden dunkel und sie redet weiter: „Holger ist nicht Holger. Ich bin nun gerade 45 Jahre alt geworden, komme frisch aus der Therapie. Noch immer kommen mir die Worte schwer über die Lippen. Holger heißt Beate, sie arbeitet in einem großen Unternehmen in der Buchhaltung. Beate – alias Holger – ist ein Realfake. Noch nie hatte ich von diesem Begriff gehört und nun geistert mir die neue Vokabel immer und immer wieder im Kopf herum. Beate hat sich eine komplette Identität ausgedacht, sich in der Singlebörse angemeldet und eine virtuelle Beziehung mit mir geführt. Sie hat in stundenlanger Kleinarbeit Fotos mit Photoshop erstellt und sich Tag für Tag eine neue Story ausgedacht, die sie mir auftischen kann. Wie konnte ich so blind sein? Wie konnte mir nicht auffallen, dass nie ein Telefonat zustande kam? Wie konnte ich von meinem Prinzip abrücken, die Dating-Plattform nur als Mittel zur ersten Kontaktaufnahme zu nutzen, um dann eine Beziehung offline aufzubauen? Diese Fragen raubten mir monatelang den Schlaf und fast auch den Verstand. Die simple und harte Antwort darauf lautet, dass ich die Illusion geliebt habe und Angst vor einer Enttäuschung hatte. Beate riss mich mit einer kurzen Chatnachricht knallhart aus meiner Scheinwelt. Sie beichtete und beteuerte, dass es ihr leid tue.“

Realfakes – Täter und Opfer 

„Ich lerne gerade anzuerkennen, dass nicht nur ich das Opfer bin. Beate ist es auch. Ich habe mir virtuelle Nähe vorgegaukelt, weil die Distanz mir Sicherheit gab. Aber auch Beate hat ein schwerwiegendes psychisches Problem. Es ist nicht meine Aufgabe, ihr zu helfen. Sie muss sich professionell helfen lassen, wie ich jetzt auch. Ich kann nur allen Menschen da draußen sagen, dass es Realfakes gibt. Bitte schützt euch, indem ihr echte Beziehungen im wahren Leben eingeht und euer Gegenüber real kennenlernt. Ich wünsche niemandem, was ich erlebt habe. Wir müssen lernen, die virtuelle Welt zu nutzen, aber sie immer ein Stückweit von der Realität zu trennen.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert